Storytelling für Werbetexte. Wirkung des Erzählens im Werbetext

31. Mai 2021

Wie wirkt die Erzählung? Das ist spannend, weil Sie erfahren wie die Erzählung in unserer Psyche andockt und wie sie aufgebaut wird? Wann liest man gerne weiter und wann lehnt man den Werbetext einfach ab? Wie wichtig sind Aufmerksamkeit, Interesse, Wunsch, Involvement und Handlung? Sie lesen, wie eine Geschichte aufgebaut wird und was die Story definiert. Das führt uns direkt zum Text, denn schreiben wir eine Geschichte, müssen die Einzelteile der Dramaturgie erkennbar sein, damit sie zusammen perfekt wirken. 

Geschichten wecken Aufmerksamkeit durch Emotion

Es bedarf zuerst der Aufmerksamkeit der Zielgruppe. Dabei muss berücksichtigt werden, dass auf der Wahrnehmungsebene jeder Text nicht nur in Konkurrenz zu seinen direkten Mitbewerbern steht, sondern auch zu allen anderen Texten im Umfeld der Zielgruppe. Dieser Kontext zwingt zu hoher Aufmerksamkeit durch Emotion. Aufmerksamkeit erhöht die Bereitschaft zur Informationsaufnahme. Sie ist Voraussetzung zum Erinnern der Botschaft und wichtig für das Verarbeiten der Story. Dabei helfen Empathie, Normabweichungen, Verfremdungen, überraschende Wendungen und Tabu- oder Regelbrüche.

Ja, das interessiert mich

Interesse kann weder angenommen werden, noch trifft es auf jeden Rezipienten gleichermaßen zu. Es sollte zwischen dem Interesse am Thema, dem Angebot und der Erzählung unterschieden werden.

Betrachtet der Rezipient das Thema als relevant, bleibt er interessiert und nimmt weiter aktiv an der Informationsaufnahme teil. Wenn er sich kurz vor einer Kaufentscheidung befindet wird er jede Form der Kommunikation über das Angebot wahrnehmen wollen (Selektive Wahrnehmung). Interessiert er sich nicht für Thema und Angebot, kann er abschalten, aber die Erzählung hat das Potenzial, ihn davon abzuhalten. Sie ist eine Form der Kommunikation, in deren Verlauf Erwartung und Lösung, Spannung und Überraschung den Leser in die Geschichte hineinziehen. Die Erzählung unterhält und kann allein der Grund sein, weshalb die Zielgruppe weiterliest. Sie weckt durch emotionale und überraschende Reize Interesse, wo ein solches nicht vorausgesetzt werden kann. Sie führt zu Erinnerungs- und Lerneffekten und bereitet Kaufentscheidungen vor, wenn ein Angebot relevant wird.

Wunsch weck mich

Vor dem Kauf kommt das Verlangen nach dem Angebot. Besteht Interesse, entsteht der Wunsch. Auf dem Weg zum Kauf überzeugen Geschichten emotional. Sie erzeugen Plausibilitäten, die beeinflussend, persuasiv, wirken. 

Die Erzählung kann den Wunsch wecken und Identifikation, Zugehörigkeit oder Anerkennung versprechen. Dadurch können sich Einstellungen ändern. Wird der Wunsch stark genug, ist die Einstellungsänderung der erste Schritt und der Kauf nahezu unausweichlich. Der Wunsch wird befriedigt. Ausgehend davon, dass jedes Produkt einen anderen Stellenwert besitzt, jede Kaufentscheidung anders getroffen wird, muss die Customer und Consumer Journey untersucht werden. So findet man die entscheidenden Einstellungen und Kaufgründe. Noch ein Punkt ist wichtig.

Wie wirkt die Story in unserem Kopf?

Involvement ist das Engagement, mit der sich der Kunde einer Kaufentscheidung widmet. Es muss zwischen Low- und High-Involvement-Produkten sowie rationalen und emotionalen Entscheidungen der Zielgruppen unterschieden werden. 

Bei Low-Involvement-Produkten sind Kaufentscheidungen von Gewohnheiten und immer wiederkehrenden Handlungen geprägt, über die man nicht mehr nachdenkt. Nicht jedes Produkt, jede Dienstleistung oder Meinungsäußerung sind gleichermaßen relevant. Sie befriedigen einfach nur unser tägliches Interesse. Mehr nicht. Über die Wahl und den Kauf eines Joghurts wird man nicht jedes Mal neu nachdenken. Die Wahrscheinlichkeit, dass man zu dem Joghurt greift, mit dem man schon beim letzten Kauf zufrieden war, ist hoch. Der sogenannte Wiederholungskauf ist ein typisches Low-Involvement-Verhalten. Der Kauf funktioniert fast wie in Trance und ist automatisiert. Der Kunde sucht nach den Symbolen, die ihn seine Lieblingspackung wiedererkennen lassen. Hat man sich einmal für ein Produkt entschieden, führt meist nur ein starker neuer Impuls oder eine Enttäuschung zum Wechsel des Produkts. Die Erzählung kann in diesem Fall die emotionale Bindung zum Produkt/zur Dienstleistung verstärken und den Kauf bestätigen oder durch massive Impulse und neuen Plausibilitäten zum Wechsel des Produkts auffordern.

Bei High-Involvement-Produkten und Kaufentscheidungen für komplexere Güter mit größerem wirtschaftlichen Risiko beginnt der Kaufprozess meist mit einer Lernphase, gefolgt von einer Beurteilungsphase und einer Entscheidungsbildung. Das Involvement, Informationen zu verarbeiten, ist in diesen Entscheidungsphasen hoch. Der Kunde sucht aktiv nach Information, weil er das Angebot in seiner Gesamtheit und im Vergleich zu Alternativen begreifen möchte. Erst der konkrete Bedarf aktiviert das Nachdenken über den Kauf. Wer sich also zum Beispiel über Autos gründlich informiert und dann zu der Überzeugung gelangt, das Modell X der Marke Y sei am besten, wird dieses Auto eher kaufen als jemand, der seine Meinung auf Basis einer beiläufig gesehenen Anzeige bildet. Die Kaufentscheidung über ein Auto wird also nur bedingt durch die Anzeige beeinflusst. Eine Erzählung kann hier der Steigerung der Bekanntheit dienen und eine Markenpräferenz im Relevant Set ausbilden bzw. Einstellungen verändern oder bestätigen. 

Der Kauf fürs Ich

Manche Kaufentscheidungen werden geleitet vom Selbstkonzept des Einzelnen. Hier sind rationale Informationen zweitrangig und dienen allenfalls der Bestätigung des Kaufs. Wichtiger ist das Beeinflussen der Einstellungen und Gefühle. Der Käufer verwirklicht sich mit dem Kauf selbst und kauft die Marke, die ihn im Rahmen einer Gruppe und seinem gesellschaftlichen Kontext definiert. Das Engagement, Werbung wahrzunehmen ist hoch, da es sich hier um eine Entscheidung handelt, die das Selbstkonzept betrifft. Die Werbung dient als Abgleich, ob man Up-to-date ist. Die Geschichte muss in diesem Fall Leitbilder schaffen, die sich zur Identifikation eignen und die Zugehörigkeit zu einer Gruppe oder die Individualität in den Vordergrund stellen. 

Idee und Story treffen erst Herz dann Verstand

Die Idee und Story übersetzen das Kreativ-Briefing in eine dramatische Form von Text, Grafikdesign und Story. Idee und Story transportieren die Inhalte ins Gedächtnis. Sie erregen Aufmerksamkeit, emotionalisieren und steigern die Überzeugungskraft der Botschaft. Eine gute Idee besitzt eine klar erkennbare Form und Mechanik. Eine rhetorische Figur, eine Abweichung vom Bekannten oder einen Perspektivwechsel. Sind ihre Form und Gestalt nicht eindeutig, bleibt die Idee missverständlich. 

Gute Ideen sind immer einfach. Kiss, keep it simple and stupid. Jede Idee lässt sich in einem Satz beschreiben. Stellen Sie sich vor, Sie telefonieren mit einem Freund und erklären ihm die Idee. Das muss funktionieren, sonst ist die Idee nicht klar und Sie müssen weiter daran arbeiten. Die Idee ist verblüffend, ungesehen, kraftvoll, intelligent, involvierend, einleuchtend,sympathisch, lebensnah, menschlich, wahrhaftig, treffgenau und fokussiert. Die beste Idee ist einzigartig.

Thema und Motiv sind der Ausgangspunkt für die Ausgestaltung des Plots

Das Thema und Motiv der Zielgruppe gehen aus dem Kreativ-Briefing hervor und sind der Kern einer Geschichte. Thema und Motiv sind der Story übergeordnet. Das Thema geht in der Geschichte auf und nutzt deren Kraft. Die Story muss es überraschend, spannend und überzeugend erzählen. Dabei wird die Erzählung das Thema nicht eins zu eins übersetzen, sondern das Interesse und die Aufmerksamkeit durch das Drama steigern. Die Anordnung der Erzähleinheiten nennt man Plot. Was das bedeutet? Sie können eine Geschichte rückwärts in die Vergangenheit gewandt oder in der Zukunft erzählen. Dazu später mehr.

Storytelling first. Narratives statt deskriptives Texten

Deskriptives, beschreibendes, Texten führt meist dazu, dass sich Unternehmen in den höchsten Tönen preisen und übertriebene Feststellungen treffen. Ist das interessant genug? Nein. Worum geht es? Die Erzählung (Narration) besitzt eine andere Tonalität und Überzeugungskraft als die Beschreibung (Deskription).

  • Das Erzählen ist emotionaler als Beschreiben. 
  • Die Erzählung holt die Zielgruppe bei ihrem Problem oder Wunsch ab.
  • Die Geschichte weckt Interesse und Neugierde des Lesers und erhöht seine Aufmerksamkeit.
  • Die Erzählung dramatisiert, involviert und motiviert stärker als beschreibender Text. 
  • Die Geschichte erzeugt Verständnis, Einsicht und Überzeugungskraft.
  • Das Erzählen ist kein aggressiver Überzeugungsversuch, sondern einfühlsames Verkaufen. 
  • Der Erzählung zu folgen, bedarf keiner Anstrengung; wir sind mit Geschichten aufgewachsen. 

Wirkungsvollere Texte erzählen. Geschichten zielen auf die Faszination der Produkte und das Image der Marke. Erzählen und Berühren statt Beschreiben und Erklären ist ein Weg aus der Textkrise. Storytelling-Texte werden lieber gelesen, besser erinnert und involvieren durch Drama. 

Narratives statt argumentatives Schreiben. Emotional statt rational

Narratives Schreiben geht vom Ereignis aus und ist konkret. Argumentatives Schreiben geht von Theorie und Daten aus und tendiert zur Abstraktion.

Narratives Schreiben erzählt über Menschen und deren Welt. Es stellt Plausibilitäten zwischen Emotionen, Fakten und Motiven her. Argumentatives Schreiben stellt Plausibilitäten zwischen Fakten und Fakten her.       

Narratives Schreiben eröffnet Möglichkeiten. Argumentatives Schreiben schafft Tatsachen.

Narratives Schreiben lässt erleben. Argumentatives Schreiben stellt fest und behauptet.

Narratives Schreiben findet auf Augenhöhe statt. Argumentatives Schreiben erzählt aus der Perspektive des Wissenden zum Unwissenden.

Die Wirkung der Story

Überall dort, wo Geschichten in Bild und Text wirken, erreichen sie größere Aufmerksamkeit als beschreibende und argumentative Konzepte. Das liegt an der Emotionalisierung. Guter Text folgt der Prämisse: „Erleben statt erklären, berühren statt belehren und erfahren statt behaupten.“ Andreas Reinberger. Indem Text Gefühle anspricht, wirkt er emotional. Dadurch erlebt der Leser die Versprechen und Nutzen. Das ist wirkungsvoller als die Erklärung desselben. Erleben und Drama berühren den Leser. Das ist besser als eine Belehrung. Der Leser erfährt die Wirkung am eigenen Leib und spürt, worum es dem Absender geht. In der Gegenüberstellung von Headlines aus gleichen Branchen wird der Qualitätsunterschied im Text deutlich. 

Ein Kaffeeproduzent schreibt: „Kaffeepause.“ Der andere Kaffeehersteller Senseo schreibt besser: „Nach 5 ‚Uffs‘ nehm ich mir ein ‚Mmmh‘.“ 

Ein Autohersteller schreibt: „Außergewöhnliche Flexibilität in jedem Gelände.“ Mercedes schreibt: „Legendewagen.“ 

Ein Catering-Unternehmen schreibt: „Frische Kräuter auf jedem Teller.“ Mitteldorf Catering schreibt. „Heute. Voll auf die Kresse.“

Ein Mineralwasserhersteller schreibt: „Schmeckt, wie direkt aus der frischen Quelle.“ Ein anderer Mineralwasserabfüller schreibt: „Gletscherwasser frisch gepresst.“

Ein Uhrenhersteller schreibt: „Pure Performance, Absolute Precision.“ IWC schreibt: „Für Männer, die ihre Kronjuwelen am Handgelenk tragen.“ 

Eine Finanzberatung schreibt: „Ab 1. Januar gelten neue Gesetze für Vermögen ab 50.000 Euro.“ Die konkurrierende Finanzberatung schreibt: „Der lustvollste Aspekt jeder Strategie ist der Erfolg.“

Ein Mineralölkonzern schreibt: „Gekonnte Kombination. Könnte es sein, dass Produktionskapazität, Produkt- und Servicequalität ein untrennbares Ganzes bilden?“ Jet schreibt: „Als Einzige verkaufen wir Markenkraftstoff günstiger. Sind wir eigentlich bescheuert?“

Spar schreibt: „Willkommen im Sparadies.“ Der Limonadenhersteller Bionade schreibt: “33 cl gegen innere Leere.“ Der Messtechnikhersteller Blankenhorn schreibt: „Messen ohne Risiken und Nebenwirkungen.“ Selbst die Berliner Müllabfuhr BSR textet emotional: „Wie oft kannst Du kommen?“ Und auf den Brechtüten in den Flugzeugen von Hapag-Lloyd Express stand: „Vielen Dank für Ihre Kritik.“ Für welches Unternehmen entscheiden Sie sich? Die Frage ist rein rhetorisch. Die Antwort eindeutig.

Die Story ist emotional und dramatisch

Emotionen sind aktuelle Zustände von Personen. Sie unterscheiden sich in Qualität und Intensität, sind auf eine konkrete Sache gerichtet, und umfassen einen Erlebensaspekt, einen physiologischen Aspekt und einen Verhaltensaspekt. Zum Beispiel Freude, Traurigkeit, Ärger, Angst, Mitleid, Enttäuschung, Erleichterung, Stolz, Scham, Schuld oder Neid. 

Emotionen sind eine Abfolge von Reaktionen auf einen Reiz. Es beginnt zunächst mit einer kognitiven Bewertung bis hin zu einer Veränderung des subjektiven Erlebens. Damit einher geht die Aktivierung des autonomen und zentralen Nervensystems. Diese Reaktionen können einen Handlungs- oder Verhaltensimpuls auslösen. Eine Story wird beim Betrachter Emotionen wecken und diese sind mit dem ureigensten Verhalten des Menschen gekoppelt.Storytelling gestaltet das Versprechen unter erzählerischen Gesichtspunkten. Die Story wird zum Träger der Botschaft. Sie fördert das Lesevergnügen und die Verweildauer. Storytelling erzeugt Verständnis, Einsicht und Überzeugungskraft. Die Erzählung verändert die Tonalität der Texte. Storytelling beginnt dort, wo Sie vom Beschreiben ins Erzählen wechseln