Der Virus lebt – Virales Marketing mit Filmen

27. November 2011

Das Werbespoteinerlei der letzten Jahrzehnte wurde von der kreativen Revolution der Virals und deren Wirkung überrollt. Ihre Gestaltung setzt sich über alle Regeln hinweg und überholt die TV- und Kinowerbung rechts. Es entstehen neue gestalterische und produktionstechnische Maßstäbe.

Was macht das Viral mächtig?

Advertainment und Extreme sind für die Weiterleitung und Empfehlung der Filme wichtigstes Kriterium. Die Einzigartigkeit der Idee und das Storytelling mit starken überraschenden Wendungen sind ein Muss für die Wirkung der Storys und den Erfolg der Kampagnen. Die Gestaltungsmerkmale erfolgreicher Virals sind: Hohe Authentizität, Tabubrüche und Regelverletzungen, Absurditäten und Abweichungen von Normen sowie die Wahl extremer Genres. Wer diese Regeln nicht befolgt, wird ignoriert oder bleibt im Regal liegen.

Hohe Authentizität

Die ersten Virals, die Ende der neunziger Jahre sichtbar wurden, waren Videos, die heimlich, zufällig oder spontan gedreht wurden ohne Rücksicht auf cineastische Qualität. Nicht selten waren es Bilder von Überwachungskameras oder die vergleichbar miese Qualität von Papas Videokamera. Aus dieser Zeit stammt der typisch authentische Stil. Verwackelte Bilder, Handkamera, schlechte Bild- oder Tonqualität sowie die Echtheit der gewählten Situationen. Sie führen zu Glaubwüdigkeit und sind Stoff für die Diskussion im Blog.

Extreme Tabubrüche, Regelverletzungen und schlechter Geschmack

Virals überschreiten häufig die Grenzen des guten Geschmacks und testen die Grenzen des Erlaubten aus. Der Bruch von Tabus steigert die Motivation für die Weiterleitung und Empfehlung. Passierte das wirklich? lautet die häufig gestellte Frage in den Blogs, und genau darauf kommt es an. Ist das nicht gefährlich für die Marke? Nein. Hier geht es darum, dass sich die Marke etwas zutraut und indem sie sich traut, beweist sie Stärke, Größe und Selbstbewußtsein. Das überzeugt Kunden im Internet und darüber hinaus.

Absurditäten und Abweichungen von Normen

Gestaltung auf die Spitze getrieben, Abweichungen von Regeln, Mustern und Konventionen sind ein Grundprinzip besserer Gestaltung. Dafür finden sich unter den Virals eine große Anzahl an Kuriositäten – vom Tierfilm bis zum Stuntman. Für Hornbach wurde z.B. der Actionheld Ron Hammer erfunden. Ein typischer Stuntman, ähnlich dem legendären Evil Knevel, der auf dem Motorrad unzählige nebeneinander geparkte Autos überfliegt und auf dem Baumarkt landet. Nicht nur die Begleitung des Virals auf einer Internetseite, sondern auch PR und Crosspromotions, die parallel zum Viral eingeleitet werden, steigern Aufmerksamkeit und Bekanntheit.

Extreme Genres

Der Hang zu extremen Genres, ob Thriller, Horror, Splatter, Schwarzer Humor oder Slapstick sind zwangsläufig. Das Pornovideo für Diesel Jeans oder historisch gesehen wohl eines der ersten Virals für The Viral Factory, das es ganz und gar auf Splatter anlegte, sind Beispiele für die Wirksamkeit der Storys: Ein Mann mittleren Alters sitzt am Strand und bläst in aller Ruhe ein Schlauchboot auf. Nach einer Weile kommt ein kleiner Junge die Treppen zum Strand heruntergelaufen und stürzt sich voller Vorfreude auf den Rand des Schlauchboots. Der Kopf des Mannes explodiert. Der Titel blendet ein: The Viral Factory. Es handelt sich um einen Promotionfilm für eine Agentur, die auf die Konzeption viraler Kampagnen spezialisiert ist.

No logo

Bei allen Virals ist erkennbar, dass das Verkaufsobjekt, das Branding oder Logo in den Hintergrund treten. Das ist ein wesentlicher Unterschied zur klassischen Werbung. Vordergründige Werbung kann den Empfehler des Virals unglaubwürdig machen und wird daher gemieden. Virals sind Teaser, sie machen neugierig und verbreiten sich besser, wenn der Absender im Hintergrund bleibt. Häufig erfolgt die Auflösung des Absenders auf einer Internetseite. Erst auf dieser Landing Page wird aufgelöst, um welches Produkt oder welche Dienstleistung es sich konkret handelt.

Big Business im Internet

Früher entstanden Virals spontan. Vor 10 Jahren leistete man sich einen Viral für müde 10.000 Euro. Die Auftraggeber wurden so lange weich geklopft bis sie schließlich sagten: “Na gut, dann machen Sie mal.” War ja nicht so wichtig und nur ein Spielplatz für Kreative. Die Kreativen erkannten allerdings die Potentiale und waren daran interessiert auszuprobieren, wie weit man gehen konnte. Die Testphase ist längst vorbei. Für diese Produktionsbudgets können Agenturen, Autoren und Filmproduktionen heute nicht mehr arbeiten und vor allem kein Geld verdienen. Und das wollen schließlich die Auftraggeber mit einem Viral auch. Die Budgets von damals werden der Bedeutung und der Werbewirkung nicht mehr gerecht.

Ganze Kampagnen werden an einem Viral aufgehängt. Der Planungsaufwand steigt. Nichts ist mehr spontan. Die Nutzung der Virals ist heute vielfältiger. Sie werden interaktiv, stark fragmentiert und in verschiedenen Versionen oder Längen auf unterschiedlichen Plattformen eingesetzt. Einige finden sogar den Weg ins Fernsehen oder Kino.

Das Viral mutiert

Der Stil des Virals verändert sich. Die Filmformate im Internet sind noch lange nicht ausgereizt. Experimente finden täglich statt. Die Vielfalt des filmischen Ausdrucks und des Storytellings vergrößern sich. Seit einigen Jahren steigt auch der Produktionsaufwand (Production Value) stetig an. Die anfänglich geringen Budgets verändern sich hin zu aufwändigeren Produktionen und gleichen sich damit der klassischen TV- oder Kinowerbung an. Der Stil der neunziger Jahre wird heute mit hochwertigen Produktionsmethoden nachempfunden. Mittlerweile werden Virals genauso aufwändig in Inszenierung, Casting, Kameraführung, Ausleuchtung, Ausstattung und Postproduktion hergestellt wie Werbespots und -filme auch.

Der Auftragsfilm im Internet ist ein anderer als im TV oder Kino. Wenn sich das Viral allerdings in der Konzeption dem klassischen TV-Spot und Kinofilm angleicht, verliert es seine Faszination und Spontanität. Soviel ist sicher. Wer will schon Werbespoteinerlei im Internet sehen? Click und weg.