Storytelling für nachhaltige Unternehmen: Interview mit Dr. Albert Heiser

19. März 2020

Den Begriff Storytelling hört man heute öfters – besonders in Marketingkreisen. Dahinter versteckt sich genau genommen nichts anderes als das Erzählen von Geschichten. Bekanntermaßen gibt es diese Art der Kommunikation schon sehr lange. Denken wir z. B. an Höhlenmalereien – eindeutig eine frühe Form des Storytelling. Menschen haben sich also schon immer Geschichten erzählt. Kann ich mit Storys ökologisch orientierte Kunden besser erreichen? Was muss ich dabei beachten?

Storytelling ist ja gerade in aller Munde: Wird es heute tatsächlich mehr in der Unternehmenskommunikation und Werbung eingesetzt? Oder handelt es sich dabei oft gar nicht um echtes Storytelling? 

Storytelling hält vermehrt Einzug in die Unternehmenskommunikation und Werbung. Und ja, es handelt sich immer öfter um echtes Storytelling. Die Texte verändern sich – werden emotionaler und aktiver. Weg vom rein beschreibenden, deskriptiven Stil — hin zum erzählenden, narrativen Stil. Erzählen ist emotionaler als Beschreiben. Trotzdem wird dabei immer noch viel Bullshit geschrieben. Mit Bullshit meine ich Phrasen, Floskeln und Worthülsen. Ein Beispiel: „Attraktive Serviceleistungen auf Spitzenniveau.“ Hier kann man alles streichen:  Attraktive, Serviceleistungen und Spitzenniveau. Übrig bleibt… Nichts. Es ergibt ja auch keine Inhalte, nur leere Worthülsen. Keine Geschichte sorgt für Aufmerksamkeit, nichts bleibt im Gedächtnis. Der Text ist austauschbar, und auf vielen Werbeflyern oder Websites genauso zu finden. Da hilft nur neu schreiben und die Prinzipien des Storytellings anwenden.

Was sind für Sie die wesentlichen Merkmale von gutem, glaubwürdigem Storytelling?

Es werden Geschichten erzählt, die von echten Menschen und deren Erlebnissen handeln. Das Erleben rückt dabei in den Mittelpunkt und weckt Gefühle. Hinzu kommt die richtige Dramaturgie, d. h. Ordnung der Geschichte. Sie steigert die Aufmerksamkeit und die Emotion — und damit fast automatisch auch die Relevanz und Glaubwürdigkeit. Diese grundlegende Struktur von Geschichten sollte jeder kennen, der überzeugende Texte schreiben will. Sie lässt sich auf kurze Texte genauso anwenden wie auf lange.

Wie können nachhaltige Unternehmen Storytelling am besten einsetzen, um Vertrauen aufzubauen? Was ist dabei zu beachten?

Indem in den Geschichten starke Konflikte bzw. Pain Points der Zielgruppen thematisiert werden. Das weckt Interesse und Emotionen. Die Stories müssen natürlich wahr sein und von wirklichen Menschen (oder Tieren) handeln, dann lösen sie Betroffenheit und Empathie aus. Storytelling ist kein aggressiver Überzeugungsversuch, sondern verkauft einfühlsam. Vergleichbar mit einem Gespräch oder einer Unterhaltung. 

Als Anbieter von fair und ökologisch produziertem Kaffee könnte ich also von den Menschen erzählen, die den Kaffee anbauen? Über ihr Leben und was sich durch den fairen Anbau und Handel für sie verändert hat?

Ja genau, wahre Geschichten bauen Vertrauen auf — in das Unternehmen und dessen Angebot. Bei diesem Beispiel liegt ein Konflikt bzw. Pain Point der Zielgruppe darin, dass herkömmlicher Kaffeeanbau der Umwelt schadet und Menschen ausbeutet. Als Anbieter von fairem Bio-Kaffee löst man genau dieses Problem. Und mit authentischen Geschichten macht man das für die Kunden erlebbar. Ein gutes Beispiel sind die Imagefilme von Bionade.

Statt die Vorteile des fairen Kaffeeanbaus einfach nur zu beschreiben, lässt man echte Menschen erzählen: Der Kaffeebauer könnte sagen: „Ich konnte meiner Familie endlich ein neues Haus bauen, meine Kinder gehen zur Schule und meine Tochter will sogar Ärztin werden.“ Solche wahren Geschichten berühren und stärken automatisch das Vertrauen.

Wie kann ich Storytelling einsetzen, um mein Unternehmen / meine Marke bei meiner Zielgruppe bekannt zu machen? 

Über ungewöhnliche Geschichten lässt sich die Aufmerksamkeit für ein Produkt oder Dienstleistung besonders gut gewinnen. Dafür ist es gut, die Customer Journey der Zielgruppe zu kennen, d. h. zu wissen, welche Schritte die Kunden bis zu ihrer Kaufentscheidung gehen. Dadurch lernt man deren Motive, Einstellungen oder Bedürfnisse kennen und kann einschätzen, welche Geschichten die Aufmerksamkeit der Zielgruppe erreichen und welche Argumente man in die Geschichte oder deren Auflösung einbauen muss. Auch die Kontaktpunkte werden dabei deutlich — also die Punkte, an denen Menschen auf die Botschaften treffen oder selbst in Kontakt treten wollen, weil sie zum Beispiel nach Informationen suchen. 

Wenn ich Storytelling in meiner Kommunikation etablieren will, wo fange ich am besten an?  Was muss ich dabei beachten?

Man kann an jeder Stelle des Kommunikations-Mix mit Storytelling beginnen. Wichtig ist, dass sich die unterschiedlichen Medien miteinander verzahnen und aufeinander abgestimmt werden. Denn eine Geschichte auf Facebook oder Instagram wird anders erzählt als auf einem YouTube-Kanal oder auf dem Unternehmensblog. Hier kann es durchaus Sinn machen, sich extern beraten zu lassen bzw. sich Experten mit ins Boot zu holen.

Wo man genau beginnt, ist nicht wirklich wichtig. Hauptsache man beginnt überhaupt. Geschichten verändern die Tonalität der Texte. Sie wecken automatisch das Interesse der Leser und erhöhen deren Aufmerksamkeit – unabhängig vom Medium.