Es folgen Türöffner. Sie gehen hindurch und dahinter liegt Text. Die richtigen Gedanken formen kreativen Text. Wie ist exzellenter Text gebaut? Welche Theorien führen direkt zur Textidee? Wo schürft man nach Ideen? Abweichen, sagte mein Professor Dr. Werner Gaede. Kontexte verschieben und überraschende Erzählperspektiven wählen, erzählten mir andere Texter. Was sagt meine innere Stimme dazu?
Prof. Dr. Werner Gaede erklärt das Phänomen guter Werbetexte mit dem Abweichen von gelernten Mustern, Regeln, Normen und Konventionen. Sein Meisterwerk: „Abweichen von der Norm“. Alle Formen möglicher Abweichungsmuster und -regeln kann man sich in diesem Buch erlesen. Ein großer Schatz, ein Quell rhetorischer Werbetext-Formen und ein gigantisches Repertoire für das Schreiben. Für Werbetexter ein muss.
Gute Ideen weichen immer ab. Die Tatsache, dass Bilder oder Text vom Üblichen abweichen erregt Aufmerksamkeit. Sei es als Wortspiel, Doppeldeutigkeit, Verfremdung oder rhetorisches Muster. „Geiz ist geil“ schrieb einmal Saturn. Das ist eine Abweichung, weil es ein Tabubruch ist. „Geiz ist nicht geil“ schrieben die SOS Kinderdörfer auf einer Spendenanzeige. Das ist wiederum eine Abweichung vom Original. Der Leser interpretiert die Bedeutung der Gestaltung. In der Abweichung liegt eine Erkenntnis, die direkt zum Versprechen und Angebot führt.
Für Autoren gilt: Wer die Muster, Regeln, Normen und Konventionen entdeckt, kann leichter von ihnen abweichen. Muster entdecken Sie überall. Augen auf! Wir sind davon umgeben. Jetzt müssen Sie nur noch auswählen und überraschend davon abweichen.
Was gute Ideen auszeichnet, ist die Tatsache, dass sich zwei oder mehrere Kontexte überlagern. „Messen, ohne Risiken und Nebenwirkungen“ verbindet den Pharma-Jargon mit dem Kontext der Messtechnik. Die Headline für die Financial Times „Verstandsvorlage“ verbindet die offizielle Vorstandsvorlage mit dem Kontext Verstand.
Die Kontexte werden übereinander geschoben. Es entsteht eine Bedeutungslücke, die der Leser nahezu automatisch schließt. Er gleicht den einen mit anderem Kontext ab und interpretiert die Sinnhaftigkeit der Überlagerung. In diesem Spannungsfeld oder in der Kluft zweier Kontexte entsteht eine Story. Gegensätzliche Kontexte wirken dramatisch. Die Gestaltung wirkt im Kopf des Rezipienten weiter und er entschlüsselt deren Bedeutung. Dadurch erschließt er sich deren Sinn. Er denkt einen Moment nach und lernt dabei die Botschaft selbst. Statt, wie beim deskriptiven Text die Botschaft vorgesagt zu bekommen. Das macht den narrativen Text so wertvoll.
Beim Wortspiel steht ein konkretes Wort in direkter Beziehung zu mindestens zwei Kontexten. Ein Beispiel: „Morgen fahre ich in Urlaub“, fühlt Frau Enke bei ihrer Nachbarin vor, „aber was mache ich mit meinem Kater?“ „Kein Problem“, antwortet die Nachbarin. „Zwei Alka Seltzer zum Frühstück und weg ist er.“
Die Grenzüberschreitung und OrdnungsverletzungWirkstoff Werbetext
Grenzen überschreiten und Ordnungen verletzen nennt man ein Ereignis und im Extremfall einen Tabubruch. Bei jedem Thema gibt es Tabus. Bei Schokolade genauso wie bei Laserschneidemaschinen. Schon allein deshalb, weil es Konventionen in Branchen gibt. Mit Schokolade cremt man sich nicht ein. Mit Laserschneidern würde man keine Schokolade teilen.
Von einem Ereignis spricht man, wenn eine Grenzüberschreitung des Helden von einem semantischen Raum zum anderen erkennbar wird. Die bestehende Ordnung wird dadurch verletzt. Es findet im Rahmen der Grenzüberschreitung eine Regelverletzung im Sinne eines Verstoßes gegen Regeln, Normen, Verbote oder Maxime statt. Es ist ein Konstruktionsprinzip einer Erzählung, diese Grenzen zu überschreiten, Konflikte auszulösen und auszuloten. Nach dem Ereignis ist nichts mehr, wie es war. Beispiel: Der Böse betritt den Himmel und stößt automatisch eine Reihe von Ereignissen an. Was passiert mit dem Bösen im Himmel? Auf das Ereignis muss also eine Auflösung folgen. Diese Auflösung stellt das Gleichgewicht wieder her. Das Ereignis findet eine Auflösung, auch Tilgung genannt. Die anfängliche Ordnung wird ganz oder teilweise beseitigt.
Drei Möglichkeiten für die Wiederherstellung des Gleichgewichtes nach Renner, 1987.
Die Herstellung des Gleichgewichtes
Die erste Variante ist die Rückkehr des Helden in den Ausgangsraum. Der Held ist in einen fremden Raum eingedrungen und hat ihn unverändert verlassen. Beispiel: Der Teufel kommt zu Besuch in den Himmel und geht wieder, weil es ihm überhaupt nicht gefällt. Zu kalt, zu freundlich, zu viele Bekannte, die ihn abblitzen ließen. Das kotzt ihn an.
Die zweite Variante: Der Held geht im Gegenraum auf und nimmt dessen Bedingungen an. Dadurch verliert oder verändert er seine alten Merkmale und wandelt sich. Die Figur verliert im Zuge der Grenzüberschreitung ihr konstitutives Merkmal und nimmt das oppositionelle Merkmal des anderen Raums an. Beispiel: Der Teufel aus der Hölle wird nett, gutmütig, gesetzestreu und lebt fortan im Himmel. Himmlisch so ein Leben nach dem Leben.
Die dritte Variante ist die Veränderung des Raums, in den der Held eindringt. Zwischen ihm und dem Raum besteht kein Widerspruch mehr. Die Grenzen des semantischen Raums werden verschoben, aufgehoben oder neu gebildet. Beispiel: Teufel und Gott leben zusammen in einer neuen Welt oder der Himmel wird zur Hölle und ein Kampf entbrennt zwischen Gut und Böse.