Dr. Albert Heiser, was ist Storytelling und warum erlebt es derzeit einen solchen Boom?

30. Januar 2016

Storytelling in der Werbung und Kommunikation bedeutet, dass der Werbetext oder die Bilder eine Geschichte erzählen. Storytelling ist in allen Bereichen des Werbetextes einsetzbar. In Anzeigen, Broschüren, Produkt- und Unternehmens-Flyern oder E-Mailings.

In der Werbung und Kommunikation geht es meist darum: Was wirkt wie? Wie kann man die Aufmerksamkeit und das Interesse hochhalten? Was bleibt im Gedächtnis? Wie überzeugt man den Leser? Kurz gesagt: Eine Geschichte erhöht die Aufmerksamkeit, erzeugt Spannung, steigert die Verständlichkeit, weckt Wünsche und Emotionen, erhöht die Erinnerung und fördert das Lesevergnügen. Die herkömmlichen Werbetext-Stile sind träge, erschöpft und verbraucht. Sie werden nicht mehr gelesen. Storytelling ist ein wirksamer Impfstoff gegen langweilige Werbetexte.

Wo liegen die Vorteile des Storytelling im Werbetext?

Der wesentliche Vorteil liegt darin, dass Geschichten in unserem episodischen Gedächtnis gespeichert werden und das bedeutet: Eine gelesene Geschichte wirkt so, als hätte man sie erlebt. Denken Sie an Ihr letztes Buch. Geschichten arbeiten mit Bildern und handeln von Personen und deren Gefühlen. Storytelling berührt den Leser, weil es sich in seine Lebens- oder Arbeitswelt einschleicht.

Lisa P., Werbeassistentin bei einem Werkzeughersteller

Seit 7 Minuten starrt sie auf ihren Monitor und die geöffnete Word-Seite ist immer noch leer. Jetzt gerade fällt ihr etwas ein und sie schreibt: „Unsere innovativen Werkzeuge für den hochqualitativen High-Tech-Sektor sind modular einsetzbar und ermöglichen die effektive und kostenreduzierende Produktionsplanung im sicherheitsrelevanten Sektor.“ „So ein Bullshit“, ruft sie genervt. „Es hört sich immer gleich an. Mir fällt einfach nichts Neues ein!“

Was Lisa schreibt, berührt nicht. Er ist nicht emotional und voller Floskeln. Hinzu kommt, dass der Text aus der Unternehmensperspektive spricht statt aus der Sicht der Zielgruppe.

Raus aus dem Werbetext-Einheitsbrei. So könnte Lisas Text auch beginnen

„Guten Morgen“, begrüßt Klaus T., Produktionsleiter, seine Kollegen. „Ich komm gleich zum Thema: Wir verlieren in der Produktion Zeit und Geld. Die Rüstzeiten sind zu lange und wir brauchen zu viele Werkzeuge für die einfachsten Produktionsschritte. 3 Fragen, die mich
beschäftigen: Haben wir die falschen Werkzeuge? Wie erhöhen wir die Qualität? Wo können wir die Sicherheit verbessern?“ „Ich habe da eine Idee“, sagt der Meister. „Das Beste wäre doch, wenn sich unsere Werkzeuge wie Module zusammensetzen. So bräuchten wir weniger
Werkzeuge für unterschiedliche Arbeitsschritte und das erhöht automatisch unsere Qualität.“ Die Werkzeuge von XY können genau das, was sie sich wünschen…usw.

Beschreiben oder erzählen?

Der Unterschied beider Werbetexte wird deutlich, wenn man grundsätzlich zwischen beschreibenden (deskriptiven) und erzählenden (narrativen) Texten unterscheidet. Der Text von Lisa beschreibt und erklärt. Der zweite Text-Vorschlag erzählt. Der zweite Text-Vorschlag hat die Erzählperspektive verändert. Aus der Unternehmenssicht hin zur Zielgruppe. Sie schreiben für den Leser, nicht für Ihre Ingenieure! Außerdem hört sich der Text nicht nach Bullshit an. Bullshit sind immer wiederkehrende Phrasen, Floskeln und Worthülsen, die typisch sind für eine Branche. Innovativ oder High-Tech sind solche Bullshit- Wörter. Schlechter Stil sind auch zusammengesetzte Adjektive wie: sicherheitsrelevant, hochqualitativ oder kostenreduzierend.

Vergleichen Sie Ihre Werbetexte mit denen Ihrer Konkurrenz und Sie werden feststellen: Überall steht das Gleiche. Das ist kein Indiz dafür, dass Sie richtig liegen, sondern falsch. Der bessere Werbetext unterscheidet sich von dem der Konkurrenz, sonst bleibt das Angebot austauschbar.

Wo finde ich spannende Geschichten, die meine Kunden interessieren?

Eine wirkungsvolle Geschichte geht von den Kaufmotiven und Pain Points (Schmerzpunkten) der Zielgruppe aus. Der zweite Text-Vorschlag steigt direkt mit dem Problem des Kunden ein. Das erhöht die Spannung von Anfang an und weckt das Interesse des Lesers. Das emotionale Versprechen des Textes heilt den Schmerzpunkt der Zielgruppe. Kaufmotiv und emotionales Versprechen gehören so hundertprozentig zusammen. Das Angebot wird als passend verstanden.

Was unterscheidet Geschichten und Werbetexte in B2C von B2B?

Aus gestalterischer Sicht gibt es keine Unterschiede zwischen B2C und B2B. Lediglich die Kaufmotive, Entscheidungsprozesse und die Mediennutzung ändern sich. Darauf gilt es einzugehen.

Mag sein, dass Entscheider im B2B Bereich rational entscheiden. Das glauben diese zumindest, aber jeder Mensch entscheidet zuerst emotional. Die rationalen Faktoren dienen lediglich dazu, die emotionale Entscheidung, die längst gefallen ist, auf ihre Richtigkeit zu
überprüfen. Text muss also zuerst emotional sein und dann rational bestätigen.

Man kann zum Beispiel erzählende und beschreibende Textpassagen mischen. Mehr als ein Feature sollte nicht in einen Satz. Mehrere Features gehören sowieso nicht in den Fließtext. Es sei denn man nimmt sich dafür viele Zeilen und beschreibt akribisch mit Liebe zum Detail,
konkret, anschaulich und lebendig jedes Einzelne. Für Features eignen sich eher Aufzählungen oder Checklisten.

Schauen Sie sich Wissenschaftsendungen im Fernsehen an. Diese sind spannend und faszinierend erzählt. Das ist kein Schulfernsehen, bei dem wir früher immer einschliefen. Lisa könnte ganz andere Headlines schreiben und die Story würde von ganz allein zu Tage
treten. Wie zum Beispiel: Ein Werkzeug wie ein Schweizer Messer. Oder: Kaufen Sie keine Werkzeuge sondern Mehrzeuge. Oder: Aus drei mach eins. Auf diesen Headlines kann man fast automatisch eine Geschichte aufbauen und erzählen.

Welche spezifischen Tipps haben Sie für Storytelling im E-Mail-Marketing?

Ein gutes Mailing ist immer auch ein Brief an sich selbst. Im E-Mail-Marketing muss man sich vor allem die Situation des Lesers vorstellen. In welcher Situation treffe ich ihn an und was bewegt ihn in diesem Moment? Ebenfalls gilt als gesetzt: Aus der Perspektive des Lesers
erzählen und Spannung aufbauen. Schreiben Sie den Namen einer Person, die Sie kennen, in die Anrede und sprechen sie zu Ihr. So verliert das E-Mailing die Distanz zum Leser und berührt.